Außen hui und innen pfui: Ist die Assekuranz undigitalisierbar?

Fehlende Standards und heterogene Legacy-Systeme: Unter der Haube von Versicherern und InsurTechs passt noch so einiges nicht zusammen.

Sie sind in aller Munde und aktuell der große Hype der Digitalisierung: FinTechs. Was im Bankenumfeld begann, setzt sich im Versicherungsmarkt fort. Clark, Knip, Getsafe, mobilversichert.de & Co. – InsurTechs schießen wie Pilze aus dem Boden und konnten in den letzten Monaten attraktive Investments für ihre Ideen einsammeln.

Bei aller Euphorie regt sich aber auch Kritik: bei der prozessualen Umsetzung der neuen Geschäftsmodelle versteckt sich unter der Haube erstaunlich viel Handarbeit. Nicht wenige bezweifeln außerdem die Kompetenz der neuen Player. Eine Diskussion, in die ich heute nicht einsteigen möchte. Mein Fokus soll die technische Seite sein – verbunden mit der Frage, ob der heutige Stand digitale Innovationen überhaupt zulässt.

Auf der Suche nach dem Standard

Das Problem der InsurTechs und der Assekuranzen sind die vorherrschenden Prozess- und Systemlandschaften in der Versicherungswelt. Und das beginnt bereits damit, dass man übergreifende und flächendeckend implementierte Datenaustausch-Standards in dieser Branche vergeblich sucht. Übrigens anders als bei den Banken, hier gibt es mit dem Homebanking Computer Interface (HBCI) bereits seit über 15 Jahren einen offenen Standard mit verbindlich definierten Übertragungsprotokollen, Nachrichtenformaten und Sicherheitsverfahren.

Falls Sie an dieser Stelle aufschreien und mich auf die BiPRO-Standards hinweisen möchten: Ja, die gibt es und der überwiegende Teil der InsurTech-Business-Modelle beruht auch darauf, sich mit cleveren Lösungen in die Maklerrolle zu setzen – also in Kernprozesse des BiPRO-Standards. Das passt demnach. Allerdings machen Standards nur dann Sinn, wenn sie flächendeckend umgesetzt werden. Und das trifft auf die IT-Landschaften der Versicherungsunternehmen heute noch bei Weitem nicht zu. Mir stellt sich hier sogar eher die Frage, ob der eine oder andere Versicherer vor dem Hintergrund möglicher Bedrohungsszenarien durch InsurTechs nicht bewusst die Handbremse anzieht und der Umsetzung eine geringere Priorität zuordnet. Ich möchte diese Frage offen im Raum stehen lassen, bin aber der Meinung, dass das der falsche Ansatz ist. Schließlich bestimmt jeder Versicherer selbst, mit welchen (digitalen) Partnern und im Rahmen welcher Business-Modelle er zukünftig End-to-End-Prozessdaten austauscht. Persönlich sehe ich in einer Öffnung mehr Chancen als Bedrohungen.

Legacy-Systeme als Bremsklötze

Einheitliche Prozessstandards sind aber nur eine Seite der Herausforderung. Die zweite ist die Befreiung aus der Legacy- und Heterogenitätsfalle. Was nützen die besten normierten Prozessinteraktionsschnittstellen, wenn im Backoffice Straight-Through-Prozesse ausgebremst werden? Und theoretisch ist das den Versicherern auch klar: Laut einer Studie von Pierre Audoin Consultants (PAC) sehen 94 Prozent der Befragten die Modernisierung der Legacy-Systeme als wichtig an, um die Ziele ihrer digitalen Strategie verwirklichen zu können. Immerhin 42 Prozent wollen in den kommenden zwei Jahren die Modernisierung ihrer Systeme in Angriff nehmen. Dabei gibt es verschiedene Handlungsoptionen zur Lösung des Legacy-Problems:

  1. Vollständige Ablösung der Altsysteme durch Neuentwicklung bzw. durch den Einsatz von Standardlösungen.
  2. Etablierung eines Prozess-Layers durch den Einsatz einer Business-Process-Management-Suite.
  3. Automatisierte Migration der Legacy-Systeme hin zu einer modernen und offenen Systemarchitektur (z.B. von COBOL nach Java).

Aus der Erfahrung heraus geht Option 1 oftmals mit hohen Kosten und sehr langen Umsetzungslaufzeiten einher. Option 2 kann ein erster Schritt sein, die Heterogenität der Backoffice-Systeme zu glätten (siehe dazu meinen Beitrag „Industrie 4.0 und der Schadenprozess“ für die Versicherungsforen Leipzig). Am meisten Charme hat aus meiner Sicht Option 3 – eine automatisierte technische Migration vereint die Attribute preiswert, schnell und sicher. Ausführliche Informationen zu dem Thema bieten Ihnen hier die Beiträge meines Kollegen Moritz Kaup. So oder so: die Assekuranzen müssen handeln.

IT als Motor und Treiber

Um den Bogen zu spannen: Selbstverständlich bin ich davon überzeugt, dass die Assekuranz digitalisierbar ist. Viele Konzerne beschäftigen sich intensiv mit den neuen Chancen und Herausforderungen, beispielhaft seien hier das ERGO Direkt iLab, der Allianz Digital Accelarator und der AXA Innovation Campus erwähnt. Die Branche muss aber auch begreifen, dass der notwendige Wandel nur durch eine entsprechende Ausweitung der IT-Investitionen erreichbar ist. Die IT ist Motor und Treiber der digitalen Transformation und nicht einfach nur ein Kostenfaktor; sie ist die Fertigungsstraße der immateriellen Versicherungsprodukte. An dieser Stelle möchte ich auf ein Statement von Lynn Thorenz (IDC) verweisen, die von CIO zu den IT-Trends 2016 befragt wurde: „Es ist keine Frage mehr, ob Unternehmen die digitale Transformation angehen, sondern vielmehr, wie und mit welcher Geschwindigkeit. Die Aufgabe der IT ist eindeutig, sie muss das Business agil, flexibel und vor allem schnell dabei unterstützen. Sie ist das Fundament der Transformation und den CIOs kommt daher eine erfolgskritische Rolle zu. Sie müssen die Prioritäten der IT-Organisationen (neu) überdenken und gegebenenfalls nachjustieren.“

 

Bildquelle: Shutterstock

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