Die Modernisierung der IT im Versicherungsmarkt: eine digitale Standortbestimmung

Mein Fazit zum MCC-Kongress „IT-Optionen für Versicherungen“: Es war informativ, aber auch heterogen – von einem gemeinsamen Digitalisierungsverständnis ist die Branche noch weit entfernt.

„IT-Optionen für Versicherungen“: Auch wenn der Kongresstitel unspezifisch und altbacken daher kommt – wohl der langen Tradition geschuldet, die Veranstaltung jährte sich zum 17. Mal – waren beide Tage Anfang Oktober durch das Schlagwort Digitalisierung geprägt.

Digitalisierung: ein gemeinsames Verständnis in der Branche?

Wenn man die Vorträge und die Diskussionen Revue passieren lässt, muss man diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Zwar wurde die Digitalisierung immer als zentrale Herausforderung hervorgehoben, jedoch mit differenten Inhalten und Aussagen belegt:

  • Modernisierung der Backoffice-Landschaften in Richtung Modularisierung und des Einziehens von serviceorientierten Architekturen
  • Automatisierung und Optimierung von Prozessen
  • Auf- und Ausbau von Omnikanalstrukturen in der Kundenkommunikation (z.B. durch die Einführung von Videochat und Co-Browsing)
  • Kostenreduktion und Kundenzentrierung

Diese unterschiedlichen Digitalisierungsinhalte führen mich dann auch zu einer der Kernaussagen von Dr. Ulrich Mitzlaff, COO der Zurich Gruppe Deutschland:

„Die Versicherungen haben die digitale Transformation noch nicht verstanden. Digitalisierung bedeutet konsequent vom Endkunden her denken.“

In eine ähnliche Richtung argumentierte auch Dirk Böhme, Head of IT der ERGO Direkt:

„So richtig haben wir unsere Kunden noch nicht verstanden. Es ändert sich aktuell sehr viel, aber auch wir wissen nicht genau, wo die Reise konkret hingeht. Digitalisierung ist nicht gleich Automation, es geht um neue Bedürfnisse und neue Geschäftsmodelle. Prozesse und Schnittstellen werden immer stärker von außen durch Kunden und Partner bestimmt.“

Abrunden möchte ich diese Einordnung mit einem Zitat von Jürgen Weiss, Managing Vice President Gartner:

„Die alte Welt betrachtet Wertschöpfungsketten, die Zukunft liegt in offenen Plattformen.“

Wo geht die Reise hin?

Ich persönlich glaube, dass die Zukunft der Branche durch folgende Szenarien geprägt sein wird:

  1. Der Versicherungsmarkt ist eine große und offene Interaktions-, Kommunikations- und Transaktionsplattform, auf der sich Endkunden, Makler, InsurTechs, Prozess- und Abwicklungsdienstleister und Versicherungsunternehmen tummeln.
  2. Die klassischen Prozesskompetenzen werden sich weiter differenzieren und jeder Teilnehmer (mit Ausnahme des Endkunden) wird sich stark auf seine Kernkompetenzen konzentrieren müssen, um mit diesen seine Nische auf der Plattform erfolgreich anzubieten.
  3. Die klassischen Versicherer, welche aktuell noch jeder für sich die klassische Wertschöpfungskette abdecken, werden sich teilweise auf das Kerngeschäft der Risikodeckung zurückziehen. Andere werden durch eigene InsurTech-Ansätze nach wie vor die Schnittstelle zu den Kunden selbst abdecken wollen und können.

Welche Konsequenzen hat das für die IT der Versicherer?

Vor dem Hintergrund des oben skizzierten Plattformszenarios und unabhängig von der Konzentration auf unterschiedliche Kernkompetenzen muss jeder Marktteilnehmer seine IT zukünftig plattformfähig gestalten. Das umfasst u.a. offene und serviceorientierte Architekturen, flexible, orchestrierbare Services und Prozesse, standardisierte Schnittstellen sowie skalierbare Betriebsszenarien. Fakt ist allerdings: Die reale Situation ist von diesem Zielbild – pauschal gesagt – noch weit entfernt.

Und genau hier schließt sich der Kreis: Die IT-Landschaften der Versicherer sind sehr unterschiedlich und somit ist die digitale Transformation – so möchte ich den Prozess vom Ist- zum Zielzustand bezeichnen – auch immer ein individueller Prozess. Vor diesem Hintergrund ist es absolut verständlich, dass die Sichtweisen und Schwerpunkte beim Thema Digitalisierung teilweise stark voneinander abweichen.

Ein möglicher Schlüssel: die bimodale IT

Bei der Frage „Wie kann die digitale Transformation gelingen?“ fiel in den Vorträgen immer wieder das Schlagwort „bimodale IT“. Der Begriff wurde bereits vor einigen Jahren von Gartner eingeführt. In diesem Model der zwei Geschwindigkeiten geht es im Modus 1 darum, die aktuelle Systemlandschaft am Leben zu erhalten und langsam an den neuen Anforderungen auszurichten. Im Modus 2 steht das schnelle Vorantreiben innovativer Ansätze im Fokus. Dr. Olaf Frank, Global Application Development Officer Munich Re, bringt es auf den Punkt:

„Auch die nächsten Jahre kommt das Geld sicherlich noch aus den traditionellen Geschäftsmodellen, die innovativen Modelle kosten erst mal nur Geld.”

Ein weiterer Schlüssel: das Beste aus „make or buy“

Dieser Ansatz wurde beispielhaft von Mario Krause, Mitglied des Vorstandes Talanx Systeme AG, dargestellt: Im ersten Schritt wird die aktuelle Anwendungslandschaft analysiert und die einzelnen Systeme auf mögliche Umsetzungsvarianten untersucht und bewertet. Die Varianten sind make, buy oder reuse. Das Ergebnis ist ein differenzierter Plan mit unterschiedlichen Lösungsansätzen. Einige Systeme werden in Eigenregie neu entworfen und gebaut, für andere setzt man bewusst auf Standardlösungen, weitere werden z.B. durch technische Migrationen modernisiert. Der Ansatz ist natürlich nicht neu, aber in meinen Augen ein möglicher Weg für die Umsetzung der digitalen Transformation.

Standards als wesentliche Basis für ein erfolgreiches Plattformkonzept

Abgerundet wurde der Kongress durch den BiPRO: Alexander Kern, Leiter Business Development BiPRO, berichtete über den aktuellen Stand der definierten Normen sowie über die Digitalisierungsoffensive zur strukturierten Verbreitung der Normen in der Praxis. Für mich ein passender Abschluss, denn bekanntlich ist der weltweite Erfolg des Internets durch die Standardisierung der Protokolle etc. begründet. Das Plattformszenario der Zukunft ist ohne die Standardisierung von Schnittstellen und Protokollen undenkbar. Ich bin mir sicher, dass sich die fachlichen Normen des BiPRO zur digitalen Prozess- und Informationsinteraktion weiter durchsetzen und zum Standard in der Versicherungsbranche werden.

Mut zum Umdenken (und Scheitern)

Mein Gesamtfazit zum Kongress: Jeder muss was tun, jeder muss unterschiedliche Dinge tun und jeder muss seinen individuellen Transformationsschlüssel finden. Abwarten und sehen, was die Branche und die Wettbewerber so machen, kann in meinen Augen nicht mehr die Strategie sein. Jeder etablierte Marktteilnehmer muss seine Hausaufgaben machen, seine Kernkompetenzen für die Plattform definieren und eine individuelle Transformations-Roadmap erarbeiten. Dann heißt es, konkret auf die Reise zu gehen, auch mit dem Bewusstsein, dass mancher eingeschlagene Weg in die falsche Richtung gehen kann. Fehlertolerante Regelsysteme sollten den Prozess begleiten. Innovation bedeutet auch positive Fehlerkultur.

 

Bildquelle: Shutterstock

Schreibe einen Kommentar

Ähnliche Artikel